Herrn Zube.

 

 "Geschichte der deutschen Bank- und Muenzgesetzgebung" von Dr. Martin Goldberg, Berlin 1913 (Puttkammer und Muehlbrecht)

 

Dieses von Herrn Kortmann besorgte Buch ist sehr gut. Die vor 1914 und im Wesentlichen auch noch nach 1914 herrschenden Irrtuemer ueber das Geldwesen, in der Wissenschaft sowohl wie beim Publikum, sind aus dem Buch zu erkennen. Es ist wichtig, sich damit vertraut zu machen.

 

Im Einzelnen moechte ich dazu, ohne etwa eine vollstaendige Kritik liefern zu wollen, folgendes bemerken:

 

      l.) Der wichtigste und auch folgenschwerste Irrtum war die Meinung, Papiergeld muesse zum Nennwert in Goldmuenzen einloesbar sei, um im allgemeinen Zahlungsverkehr zu pari mit Goldmuenzen zirkulieren zu koennen.

      Auch die kluegsten Bankleute begriffen nicht, dass ein wirklich freier Goldmarkt (wie er zur Zeit in Zuerich besteht) nicht nur dasselbe leistet wie ein Einloesungsfonds von der Art, wie ihn die Reichsbank besass (etwa die Haelfte vom Nennwert der zirkulierenden Noten), sondern viel mehr. Hinzu kommen muss die Annahmebereitschaff desjenigen, welcher das Papiergeld emittiert. Angenommen, eine Ladengemeinschaft emittiert 100 000 Gutscheine zu je 5 Goldmark; dann muss auf jedem Gutschein aufgedruckt sein: Die Ladengemeinschaft nimmt die Gutscheine bei Verkaeufen und bei der Begleichung von Zahlungen anderer Art an die Ladengemeinschaft ebenso an, wie sie Goldmuenzen annehmen wuerde. Bei Hingabe von 2 Gutscheinen ueber je 5 Goldmark gibt die Ladengemeinschaft z.B. ebensoviel Ware oder Dienstleistungen ab wie bei Hingabe eines Zehnmarkstueckes aus Gold, und in gleicher Qualitaet sowie zu den gleichen Verkaufsbedingungen. Die Ladengemeinschaft wird die Gutscheine gegen Goldstuecke umtauschen, falls sie an ihren Kassen Goldstuecke einnimmt und sie ohne Stoerung ihres Zahlungsverkehrs bereitstellen kann. Ob solche Stoerungen vorliegen oder zu befuerchten sind entscheidet diejenige Kasse der Ladengemeinschaft, bei welcher der Umtausch verlangt wird.

      Goldberg moniert nicht den Umstand, dass der Einloesungsfonds der Reichsbank ja nur einen Bruchteil der ausstehenden Noten "deckte". Im Falle einer Krise bestand daher stets die Gefahr, dass alle Noten fast gleichzeitig zur Einloesung praesentiert wurden. Noten im Nennwert von mehreren hundert Millionen waeren dann trotz des Einloesungsversprechens uneingeloest geblieben. Beim damaligen Stand der Mentalitaet des Publikums wuerde dies schlimme wirtschaftliche Folgen (Aufhoeren fast allen Kredits) und politische ("haengt die Betrueger!") gehabt haben.

      Der freie Goldmarkt ist von dieser Gefahr ganz frei. Angenommen, die Noten irgendeiner Ladengemeinschaft notierten am freien Goldmarkt mehrere Tage lang hintereinander 95 %, d.h. fuer 100 Mark Noten kann man nur 95 Mark in Muenzen kaufen. Was waere die Folge? Allerdings ein allgemeines Misstrauen. Also - - so schreien die Feinde des Systems - - ein Chaos! Wie sieht das Chaos aber in der Wirklichkeit aus? Die Besitzer der Noten kommen zur Ladengemeinschaft gerannt und kaufen sich irgendetwas. Zwar stutzen sie zunaechst beim Anblick der wohlgefuellten Regale und fragen sich: Nanu - - die Deckung der Noten ist doch komplett! Warum das Disagio am freien Geldmarkt?? Wer weiss, Spekulation oder sonstwas, wir sind vorsichtig und decken uns mit Ware ein. In zwei Tagen ist die Ladengemeinschaft halb leer gekauft. So ein Geschaeft hat sie noch selten gemacht, nicht einmal zu Weihnachten! Der Geschaeftsfuehrer erklaert: Noch zwei solche Misstrauensausbrueche, und wir sind alle reiche Leute!! Das ist das "Chaos".

      Solche UEberlegungen wurden vor 1914 nie angestellt, ausser in denjenigen Kreisen der USA, die mit der Technik der "Clearinghouse-Certificates" vertraut waren und sich ihrer bei Krisen bedienten.

 

2.) Dass kein freies Emissionsrecht bestehen darf, das galt vor 1914 in allen Kreisen als eine Selbstverstaendlichkeit. Dass etwa eine Ladengemeinschaft Berlins den Arbeitgebern Berlins im Falle einer Krise wie der von 1873 oder der von 1907 durch Darlehen, die in Gutscheinen gewaehrt werden, die Entlohnung der Arbeiter auch waehrend der Krise moeglich macht, das wurde nicht etwa abgelehnt, man dachte gar nicht daran. Auch die Arbeiterparteien dachten nicht daran, weil sie - - Marx und Engels folgend, die ihrerseits hier nur die gewoehnlichen, unueberlegten Zeitungsansichten aeusserten - - das Wesen der Krisen und damit die einzige Moeglichkeit, sie zu verhindern, verkannten.

Wuerde jemand auf die "Clearinghouse-Certifioates" in den Neu-Englandstaaten der USA hingewiesen haben, so haette man ihm zunaechst die "ganz anderen Verhaeltnisse" in den USA vorgehalten haben. Dann aber wuerde man ihm gesagt haben: Bei uns haben die Arbeitgeber es noch einfacher als sie es     beim Bestehen einer Gutschein-emittierenden Ladengemeinschaft haetten. Die Arbeitgeber gehen einfach zur Reichsbank und pumpen die an!!

Hier zeigt sich nun die Unwissenheit der Wissenschafter von damals, der Arbeitgeber von damals und der Arbeiter und ihrer Fuehrer von damals. Niemand kam auf das Bestehen folgender Hindernisse fuer die Reichsbank:

 

1.) Die Reichsbank durfte nicht mehr Noten ausgeben als dem Dreifachen ihres Geldvorrates entsprach, oder - - wenn sie diese Quote ueberschritt - - so zahlte sie auf das Mehr eine Notensteuer von 5 % p.a. an das Reich. Durch die letztere Vorschrift wurde die Reichsbank gezwungen, ihrerseits wenigstens 5 % zuzueglich Verwaltungskosten, praktisch also wenigstens 6 % p.a. Zinsen fuer ihre Darlehen zu berechnen. Das galt frueher als hoch. In jedem Falle aber bestand die Einloesungspflicht. Wenn nun die Presse meldete: Die Reichsbank ist in die Notensteuer gekommen, der Einloesungsfonds betraegt nur noch so und so viel % der ausstehenden Noten, dann erwachte im Volke Misstrauen, und die Gefahr der Praesentation sehr vieler Noten zur Einloesung war gegeben. Die Reichsbank hielt es fuer Ihre Pflicht, einem solchen Misstrauen zuvorzukommen und lehnte daher Kredite zu geben ab, wenn die ausstehenden Noten erheblich mehr ausmachten als das Dreifache der Golddeckung betrug.

Hinzu kamen die Bestimmungen der Gewerbeordnung (§ 115 ff), die den Arbeitgeber verpflichteten, die Loehne entweder in Hartgeld zu zahlen oder in Noten einer konzessionierten Notenbank.

Die Praxis von alledem war: Bei Krisen war der Arbeitgeber gezwungen, seine Arbeiter schleunigst aufs Pflaster zu werfen. Die Reichsbank war durch die bestehenden Gesetze gehindert, in Krisen ausreichend zu helfen.

Darum bekuemmerte sich aber niemand, so lange die Ursache der Krisen entweder in Spekulationen gesucht wurde oder in Mangel an Planung. Ganz deutlich hat die wahre Ursache erst Silvio Gesell dargelegt. Hortung des Bargeldes war diese Ursache.

 

2.) Die Noten lauteten auf Betraege von entweder 1000 Mark oder 500 Mark oder 200 Mark oder 100 Mark oder 50 Mark oder 20 Mark. Erst durch das Gesetz vom 20.2.1906 wurden Noten zu 50 Mark und zu 20 Mark erlaubt. Vor diesem Tage kamen also Reichsbanknoten fuer Lohnzahlungen an die Arbeiter praktisch nicht in Frage. Nachher war die Emission kleiner Abschnitte vom Reichskanzler auf 300 Mill. Mark begrenzt. Am 30.10.1909 waren aber nur rd. 250 Mill. Ausgegeben. Eine grosse Hilfe bei Lohnzahlungen waren die Reichsbanknoten also auch nach dem Erlass des Gesetzes vom 20.2.1906 nicht.

 

Bth. 27.2.1956.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 3409-3410.